“Temporäre” Schliessungen
Es war eine Frage der Zeit, bis Consumerbrands wie McDonald’s und Coca-Cola zum Rückzug aus Russland blasen würden. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Ein Kommentar.
9. März 2022 • Beat Schmid

Man wird den Eindruck nicht los: US-Brands wollen mit ihrem Russland-Exit der aufgebrachten Social-Media-Meute gefallen. Das zeigt sich schon daran, dass sie möglichst schnell wieder Geschäfte in Russland machen wollen. Sonst würden die Konzerne kaum von “temporären” Massnahmen sprechen, wie dies McDonalds in einem Tweet tut.

Und genau das ist das Problem: Wenn die Unternehmen es wirklich ernst meinen, wenn ihr Entsetzen über den Krieg in der Ukraine wirklich so tief geht, wie sie behaupten, dann hätten sie zu radikaleren und schmerzvolleren Massnahmen gegriffen. Sie hätten entschieden, sich für Jahre oder gar Jahrzehnte aus dem Land zurückzuziehen.

Wie wenig durchdacht die Boykott-Aktionen sind, zeigt sich unter anderem daran, dass die Unternehmen noch keinen Plan haben, wann sie die Läden und Restaurants wieder öffnen werden. Ist es dann, wenn es zu Friedensverhandlungen kommt, wenn Putin gestürzt wird, wenn die Sanktionen fallen – oder einfach dann, wenn die Empörungswelle in den sozialen Netzwerken abgeflacht ist? Leider ist Letzteres zu befürchten.

Tippinpoint fragte bei Ikea nach, die als eine der ersten westlichen Firmen ihren Rückzug bekannt gab. Auf die Frage, welche Bedingungen für eine Rückkehr erfüllt sein müssen, antwortete eine Sprecherin ausweichend: “Die Situation ist extrem kritisch und ändere sich ständig – es sei zu früh, dazu Aussagen zu machen.” Gleichzeitig hielt die Sprecherin fest, Ikea bleibe ihren Kunden, Mitarbeitern und Partnern in Russland verpflichtet.

Das Möbelhaus hat versprochen, ihren Angestellten weiterhin den Lohn zu zahlen. Auf die Frage, wie lange sie es das tut, sagt die Sprecherin: “Wir arbeiten mit einem Sechsmonatsplan, die Löhne sind vorerst für die nächsten drei Monate garantiert.”

Der Rückzug von BP ist radikaler und schmerzvoller

Nicht alle Unternehmen machen es sich so einfach. Der Entscheid des Erdölkonzerns BP, sich aus Russland zurückzuziehen und den 20-Prozent-Anteil an Gazprom abzustossen, ist wesentlich radikaler und schmerzvoller. Den Aktionären wird der Gazprom-Ausstieg gegen 25 Milliarden Dollar kosten.

Der Bruch, wenn er denn wie angekündigt vollzogen wird, scheint definitiv. Dagegen wirken die angekündigten temporären Rückzüge von McDonald's, Coca-Cola, Pepsi, Starbucks und vielen anderen Consumerbrands wie billige Kosmetik.

Und, wichtiger: Der BP-Rückzug zielt direkt auf den Aggressor, also auf Wladimir Putin, seine Entourage und den russischen Staat, der auf Gas- und Ölverkäufe angewiesen ist. Die Aktionen von McDonald’s dagegen zielen auf die normalen Leute, die für den Krieg nichts können.

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