Foodonomics
Nach dem Boom während der Covid-Pandemie mit ihren Lockdowns stagniert der Verkauf von biologisch erzeugten Lebensmitteln. Bioläden machen dicht. Die Gründe dafür seien grundlegender Natur, findet die Trendfoodforscherin Hanni Rützler.
8. Juli 2023 • Michael Lütscher
Vor zehn Tagen stellte die Zürcher Organisation Grassrooted ihr «Gemüseretter*innen-Abo» ein. Beim Start vor vier Jahren hatten 1000 Leute sich verpflichtet, regelmässig Bio-Gemüse, das zu klein, zu gross oder zu unförmig für den Detailhandel ist, zu kaufen. Zuletzt waren es noch 300 Abnehmerinnen.
Das ist nur eine weitere von vielen Negativ-Meldung aus der Biobranche in diesem Jahr. Bioläden machten dicht, der Online-Händler Farmy, der viele Bio-Produkte vertreibt, musste bei seiner zweiten Crowdinvesting-Kampagne innerhalb von sechs Monaten den Wert seiner Aktien auf einen Viertel reduzieren. Und die Branchenorganisation Bio Suisse meldete fürs Jahr 2022 einen Umsatzrückgang im Handel von Bio-Produkten um gut drei Prozent – dies bei einer Jahresinflation von durchschnittlich knapp drei Prozent. Zwischen 2016 und 2021 hatte der Bio-Umsatz in der Schweiz um 60 Prozent zugelegt.
Die Inflation mag tatsächlich eine Erklärung für die abgeflaute Bio-Begeisterung sein, zumal Bio-Produkte generell teurer als konventionell produzierte Lebensmittel sind. Das Aus einiger im Vergleich zu den Supermärkten sehr viel teureren kleinen Bioläden dürfte diesen Trend bestätigen.
«Quo Vadis Bio?», fragt Hanni Rützler, die österreichische Foodtrendforscherin, in ihrem eben veröffentlichten «Foodreport 2024». Bio habe nicht mehr die Ausstrahlungskraft, die es hatte, stellt sie fest. Bio sei in der öffentlichen Wahrnehmung überholt worden. Nachhaltigkeit liege weiterhin im Trend. Dabei seien andere Faktoren inzwischen wichtiger. Zum Beispiel die Regionalität – als gut gelte, was aus der Umgebung komme. Und: «Tierfrei oder nicht tierfrei heissen die zentralen Antonyme, die den aktuellen öffentlichen Diskurs bestimmen – nicht mehr biologisch oder konventionell», schreibt Rützler.
Veganfood ist oft Industrieware
Natürlichkeit hat sich relativiert. Hafer-, Mandel- oder Sojamilch, die Alternativen zur Kuhmilch, sind Industriewaren, ebenso all die Fleischersatzprodukte. Die Nachfrage nach Bio-Fleisch war immer schon kleiner als jene nach Bio-Eiern oder -Gemüse. Nun berichten Bio-Bauern davon, dass das Interesse nach ihrem Rindfleisch nachlasse. Hauptgrund: Ein Teil der Bio-Kundschaft verzichtet aus klimapolitischen Gründen ganz aufs Fleischessen. Ums Klima geht es auch in der Planetary Health Diet, einer Ernährungsempfehlung unter Einbezug aller Nachhaltigkeitsaspekte, die 2019 von der EAT-Lancet-Kommission, eines weltweiten Zusammenschlusses von 37 Wissenschaftlern, veröffentlicht wurde. Darin geht es also auch um den Methanausstoss, um den Wasserverbrauch oder um Gesundheitsfragen, und auch um die Nahrungssicherheit für die Weltbevölkerung. Und weil die biologische Landwirtschaft 20 bis 30 Prozent mehr Bodenfläche als die konventionelle benötigt, um die gleiche Menge Lebensmittel zu produzieren, spielt sie in der Planetary Health Diet keine entscheidende Rolle. Urs Niggli, der langjährige, frühere Direktor des renommierten Forschunginstituts für den biologischen Landbau (FibL), hat schon lange auf das Problem der tiefen Produktivität hingewiesen. Und zur Behebung technische Möglichkeiten vorgeschlagen. Nämlich den Einsatz von intelligenten Maschinen zur Bewirtschaftung der Äcker – und der Genschere CRISPR/Cas, zur beschleunigten Züchtung von Pflanzen, welche resistenter gegen allerlei Unbill der Natur sind. Auch Rützler schreibt: «Es braucht einen Tabubruch, der technologische Innovationen und ökologische Produktion vereint». Die Delegiertenversammlung von Bio Suisse aber bekräftige dieses Frühjahr in einer Resolution klar ihre Haltung gegen CRISPR/Cas. Die tiefere Produktivität ist auch der Grund für die höheren Preise der Bioprodukte. «Was bekomme ich dafür?», mögen sich manche der vielen neuen Biokonsumentinnen gefragt haben. Denn Bio schmeckt nicht zwangsläufig besser. Auch wenn der im Marketing häufig verwendete Begriff «in Bioqualität» das suggeriert. Schweizer Bio-Tomaten sind im Juni genauso fad wie konventionell gezogene. Bio ist ein Engagement mit indirekter Wirkung für jene, die solche Produkte kaufen. Keine Pestizide, kein Kunstdünger: Das tut den Böden und den Gewässern gut, der Biodiversität und der Umwelt und hilft mit, dass die Natur funktioniert und nicht aus den Fugen gerät. Abschreiben darf man Bio aber keineswegs. Bio Suisse-Geschäftsführer Balz Strasser erklärte an der Jahresmedienkonferenz im April, Bio brauche 500 weitere Schweizer Ackerbauern und 15 000 Hektaren Ackerland, um etwa Hafer für alternative Drinks anpflanzen zu können.Fisch auf vernünftige Art
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