Geldpolitik
Der Rücktritt des Nationalbankpräsidenten bietet Gelegenheit, Grundsatzfragen anzugehen, die vom scheidenden Währungshüter unter dem Deckel gehalten oder negiert wurden – von der Gewinnermittlung bis zur Frauenförderung. Eine Einschätzung von Balz Bruppacher.
6. März 2024 • Balz Bruppacher

Der erfolgreichste Notenbanker der Welt trete ab, hiess es bei der Rücktrittsankündigung von Thomas Jordan letzte Woche. Solche Prädikate sind bekanntlich mit Vorsicht zu geniessen, auch wenn sich die Erfolge des scheidenden Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in der Kernaufgabe der Sicherung der Preisstabilität sehen lassen. In der 17-jährighen Zugehörigkeit zum dreiköpfigen SNB-Direktorium, davon die letzten 12 Jahre als Präsident, profilierte sich Jordan zunehmend als allein bestimmender Lenker an der Spitze der Notenbank. Bescheiden und bodenständig im Auftritt, vertrat er seine Position, wenn nötig, knallhaft und stur. Die personelle Situation im Direktorium und ein zahmes Aufsichtsgremium kamen ihm nach dem Ausscheiden von Philipp Hildebrand entgegen. In der Sache diente die in der Verfassung verankerte Unabhängigkeit notfalls als Totschlagargument.

Wie geht es nun weiter? Noch in die Amtszeit Jordans fällt die Nachfolgeregelung an der SNB-Spitze. Der Bundesrat wird auf Vorschlag des elfköpfigen Bankrats ein neues Mitglied des dreiköpfigen Direktoriums wählen und den oder die Präsidentin bestimmen. Der dreiköpfige Ernennungsausschuss des Bankrats legt in einem Bericht dar, welche Personen er beurteilt hat und wem er aus welchen Gründen den Vorzug gibt. Dieser Bericht soll in der Regel spätestens vier Monate vor dem Eintreten der Vakanz dem Bankrat vorliegen, das heisst im Fall des Ende September ausscheidenden Jordan am kommenden 1. Juli. Der Ernennungsausschuss, der sich zurzeit aus Bankratspräsidentin Barbara Janom Steiner sowie den Bankräten Romeo Lacher und Angelo Ranaldo zusammensetzt, hört zudem die verbleibenden Mitglieder des Direktoriums an, also Vizepräsident Martin Schlegel und Antoine Martin.

Bekannt ist, dass Jordan seinen einstigen Praktikanten Schlegel als Nachfolger aufgebaut hat. Mit dem Entscheid des Bundesrats vom Mai 2022, das neue Direktionsmitglied Schlegel direkt zum Vizepräsidenten zu ernennen und das inzwischen ausgeschiedene Direktoriumsmitglied Andréa Maechler zu übergehen, schien der weitere Aufstieg Schlegels vorgespurt. Doch nun melden sich namhafte Stimmen, die eine Ernennung zum Präsidenten als verfrüht betrachten. So das SNB-Observatorium, bestehend aus den Professoren Gerlach, Lengwiler und Wyplosz. Mit Schlegel und dem Anfang Jahr angetretenen Antoine Martin sei das Direktorium im historischen Vergleich unerfahren. Das neue Mitglied des Direktoriums sollte nach Ansicht der Professoren von aussen kommen.

Bei der Neuwahl ist die SNB beziehungsweise der Bankrat einmal mehr mit der Frauenfrage konfrontiert. Obwohl der Bundesrat in Beantwortung eines parlamentarischen Vorstosses erwartet hatte, dass der Bankrat bei seinem Wahlvorschlag für die Nachfolge von Andréa Maechler auch das Geschlecht berücksichtigen werde, erhielt der Ökonom Martin den Vorrang. „Es müssen ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, um mehr Frauen zu fördern“, fordert das SNB-Observatorium und erinnert daran, dass 2023 neben sechs Männern nur eine Frau in leitende Position befördert wurde. Der Bankrat habe hier versagt. Dessen Präsidentin hatte Vorwürfe über die Benachteiligung von Frauen 2022 noch als reisserisch und schlichtweg unzutreffend zurückgewiesen.

Zahnlose Aufsicht des Bankrats

Das Aufsichtsgremium Bankrat, zusammengesetzt aus Regierungsmitgliedern der Kantone sowie Vertretern aus Wissenschaft, Finanzplatz und Sozialpartnern, ist bisher in der Öffentlichkeit kaum präsent, abgesehen von zweifelhaften Aktivitäten wie zum Beispiel bei der Hildebrand-Affäre Anfang 2012. Das ist insofern gewollt, als die Geld- und Währungspolitik nicht zu den Aufsichtskompetenzen des Bankrats gehört. Der vom Bundesrat beauftragte Gutachter Paul Richli hatte in diesem Zusammenhang von einer „grundsätzlich fragwürdigen Selbstkontrolle des Direktoriums“ gesprochen. Die Professoren des Observatoriums fordern eine Reform des Bankrats. „Ähnlich wie der Vorstand eines Finanzinstituts einen Vorsitzenden braucht, der dem CEO Paroli bieten kann, braucht der Bankrat eine hochrangige Schweizer Persönlichkeit als Vorsitzenden, die dem Direktorium Paroli bieten kann, wenn es nötig ist“, heisst es in ihrem jüngsten Bericht.

Hinzu kommt, dass der Bankrat weder über ein eigenes Sekretariat noch über eine Medienstelle verfügt. Anfragen von Medien werden von der Medienstelle der SNB behandelt. „Das scheint mir nicht in Ordnung“, sagt Observartoriumsmitglied Lengwiler auf Anfrage und fügt hinzu: „Wenn Sie die Finma anrufen, erwarten Sie auch nicht, dass die Kommunikation der ZKB antwortet.“

Seit Jahren sorgt die Gewinnausschüttung der Nationalbank an die öffentliche Hand für Kontroversen. Dieses Jahr gehen Bund und Kantone zum zweiten Mal in Folge leer aus, weil als Folge des Rekordverlusts im Jahr 2022 von 132,5 Milliarden Franken nach wie vor ein Loch von 53 Milliarden Franken in der Ausschüttungsreserve klafft. Kritiker, zu denen auch das SNB-Observatorium gehört, geben zu bedenken, dass durchaus Mittel für eine Gewinnausschüttung zur Verfügung stünden. Gemeint sind die Rückstellungen für Währungsreserven, die für das vergangene Jahr mit dem Segen des Bankrats soeben um weitere 10,5 Milliarden Franken auf 115,8 Milliarden Franken aufgestockt wurden. Unschwer vorauszusagen, dass die SNB angesichts der knappen Finanzen von Bund und Kantonen stärker unter Druck geraten wird, die gegenwärtige Praxis der Gewinnermittlung zu ändern.

Die von der SNB mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement abgeschlossene Vereinbarung über die Gewinnausschüttung ist noch bis und mit dem Geschäftsjahr 2025 gültig. Eine vorzeitige Neuverhandlung ist im gegenseitigen Einvernehmen zwar möglich. Aber aktuell ist das aber nicht vorgesehen, wie es bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung heisst.

Klima-Allianz fordert Jordan an GV heraus

Noch unter Jordan werden die SNB-Aktionäre an der Generalversammlung (GV) vom kommenden 26. April einmal mehr mit den Anliegen der Klima-Allianz Schweiz zur Anlagepolitik konfrontiert. «Im Vergleich zu anderen Zentralbanken nimmt die SNB ihre Verantwortung bei der Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrisen weiterhin nicht ernst», sagt Asti Roesle, zuständig für Finanzplatz und Klima bei der Klima-Allianz. Die jüngste Kritik betrifft Milliardeninvestitionen der SNB in die Fracking-Industrie. Die Anträge an die GV betreffen erweiterte Transparenzvorschriften, eine Aufsichtsverantwortung des Bankrats über klimabedingte Risiken sowie eine Neuorganisation von Direktorium und Bankrat. Als neues SNB-Organ wird zudem ein wissenschaftlicher Beirat vorgeschlagen.

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