Der frühere Lead Auditor von Raiffeisen ist ins oberste Leitungsgremium der staatlichen Postfinance gewählt worden. Der St. Galler PWC-Mann ist eine zentrale Figur im Vincenz-Skandal.
5. Juli 2024 • Beat Schmid

Es ist eine Personalie mit Sprengkraft. Vergangene Woche wurde Beat Rütsche an einer ausserordentlichen Generalversammlung in den Verwaltungsrat der Postfinance gewählt. Das teilte die Posttochter am Mittwoch mit. Brisant ist die Wahl, weil mit Rütsche ein Vertrauter von Pierin Vincenz im Spitzengremium Einsitz nimmt.

Der Wirtschaftsprüfer war viele Jahre Partner bei PWC in St. Gallen und für die Prüfung der Geschäfte der Genossenschaftsbank verantwortlich. Als sogenannter Lead Auditor unterzeichnete er den Revisionsbericht im Geschäftsbericht der drittgrössten Bankengruppe der Schweiz.

Seit 2007 liegt das Mandat für die externe Revision bei PWC. Rütsche war ab dem Geschäftsjahr 2008 leitender Revisor bei Raiffeisen und damit für das Mandat verantwortlich. Er übte diese Funktion bis Ende 2018 aus. Über seinen Tisch gingen heikle Deals, Spesenabrechnungen und Lohnzahlungen im Zusammenhang mit Pierin Vincenz, die zu einem der grössten Skandale der Schweizer Bankengeschichte führten.

Rütsche kannte heikle Lohnkonstruktion

Beat Rütsche segnete auch eine höchst ungewöhnliche Konstruktion ab, um die Lohnzahlungen an die Geschäftsleitung intern zu verdecken. Die Abrechnungen wurden aus Diskretionsgründen ans Advokaturbüro Eugen Mätzler ausgelagert. Wie die SonntagsZeitung 2021 schrieb, liefen «sämtliche Saläre, Pensionskassenvergütungen, Boni und Spesen von Vincenz und den anderen Geschäftsleitungsmitgliedern über Mätzlers Büro, revidiert von Beat Rütsche von der PWC». In seinem ersten Jahr als leitender Revisor kassierte Vincenz die horrende Summe von 13,8 Millionen Franken, wie die «NZZ am Sonntag» aufdeckte.

Mit Rütsche als Lead Auditor beteiligte sich Raiffeisen ab 2012 an Investnet, einem Private-Equity-Vehikel, auf dem die Bank später 150 Millionen Franken abschreiben musste. Investnet spielt wie andere Beteiligungen (z.B. Commtrain), die Raiffeisen in der Ära Vincenz eingegangen ist, eine zentrale Rolle im Prozess gegen den gefallenen Banker und einige seiner ehemaligen Mitstreiter.

Beat Rütsche ist in St. Gallen gut vernetzt und sitzt seit 2011 für die Mitte im Stadtparlament. Er und Pierin Vincenz wohnten im gleichen Quartier, als dieser noch in St. Gallen lebte. Gelegentlich soll Vincenz seinen Nachbarn mit der Limousine in die Stadt mitgenommen haben.

PWC kassierte mehr als 10 Millionen von Raiffeisen

Als die SonntagsZeitung 2009 eine private Beteiligungsgesellschaft von Vincenz an seinem Wohnort publik machte, liess die Finma die Geldflüsse der Firma durchleuchten. Sie beauftragte PWC mit dieser heiklen Aufgabe, die nichts fand. Für PWC war das Raiffeisen-Mandat wichtig: Jährlich konnte sie über 10 Millionen Franken in Rechnung stellen.

Als neuer Verwaltungsrat von Postfinance wird Rütsche den Ausschuss Audit und Compliance leiten. Er wird sein Amt Anfang Oktober antreten. In der offiziellen Medienmitteilung wird seine Arbeit für Raiffeisen nicht erwähnt. Es heisst lediglich, seine Revisionstätigkeit habe sich auf «Retailbanken in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein» konzentriert.

Obwohl auch dies in der Mitteilung nicht erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass die Finma vorgängig grünes Licht für die Wahl von Rütsche gegeben hat. Bei der Postfinance handelt es sich um ein Finanzinstitut, das in die Kategorie der systemrelevanten Banken fällt. Als Vorsitzender des Prüf- und Compliance-Ausschusses übernimmt Rütsche eine eminent wichtige Rolle in einer Gesellschaft, die sich zu 100 Prozent im Besitz der Eidgenossenschaft befindet.

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